Stefan Ostern, geboren 1965 in Amberg (Bayern), ist vor kurzem zum Bischof von Passau in Bayern ernannt worden. Nachdem er die Frau, die er heiraten wollte, mit ihrem Einverständnis verlassen hatte, ist er 1996 Salesianenpater geworden. Am 24 Mai dieses Jahres, wird er von Kardinal Reinhard Marx, Erzbischof von München und Freising, im Dom zu Passau, der dem ersten Märtyrer der Kirche gewidmet ist, dem Heiligen Stephanus, zum Bischof geweiht und wird er dadurch zum jungsten Bischof Deutschlands. Als Philosoph hat er über die ontologische und biblische Philosophie (Das Sein als Gabe) des großen Freundes Hans Urs von Balthasars gearbeitet, Ferdinand Ulrich, dessen Werk er zusammen mit Martin Bieler und Florian Pitschl in dem Johnnesverlag Einsiedeln herausgegeben hat. Theologisch ist seine  Studie zum Thema der Transustantiation besonders wichtig. Wir sind dankbar, dass Stefan Ostern uns in dieser Zeit, in der viele Zeitungen ein Interview wegen seiner Bischofsernennung wollen, unsere Fragen beantwortet und auch dass Ferdinand Ulrich den Kontakt zu ihm für den ilsussidiario.net hergestellt hat.



Exzellenz, Christus ist auferstanden. Warum erreicht uns diese Verkündigung auch heute mit der selben Kraft und Lebendigkeit wie damals? Sie selbst haben sofort nach Ihrer Ernennung zum Bischof von Passau den Wunsch geäussert, auch als Bischof ein Hirte zu sein, der die Auferstehung verkündet.
Die Kirche lebt aus dem Geist des auferstandenen Herrn. Die Jünger konnten erst nach der Geistsendung an Pfingsten für ihren Glauben ihr Leben geben. Davor, als der Herr noch in konkreter, geschichtlicher, sinnlich greifbarer Gestalt bei ihnen war, sind sie vor dem Kreuz noch davon gelaufen. Jetzt aber, da er seinen Geist gesandt hat, ist er ihnen innerlicher als je zu vor, innerlicher als sie sich selbst sind. Jetzt leben sie wirklich aus seiner Kraft und nicht mehr aus ihrer eigenen. Und heute lebt die Kirche immer noch aus dem Geist Gottes, jeder Getaufte, jeder Gefirmte, ist unverlierbar durch das Siegel des Geistes geprägt. Und der Geist wird aus sich selbst nicht schwächer, er ist derselbe, der Geist der Liebe, der Kraft, der Fruchtbarkeit. Die Frage ist deshalb: Wie stellen wir uns ihm zur Verfügung? Denn er zwingt niemanden, aber er liebt Kooperation.



„Der Auferstandene ist derjenige, der den Glaube persönlich entstehen lässt“, hat Dietrich Bonhoeffer in seiner Christologie geschrieben. Das entspricht sicher der Hauptintention der „Evangelii Gaudium“. Die Freude des Evangeliums ist die Freude, die der Herr persönlich, schenkt. Was bedeutet das für unsere Vernunft, aber vor allem für unsere Erfahrung als Menschen?

Es gibt nicht echte, tiefe Erfahrung ohne Vernunfterkenntnis und keine tiefe Vernunfterkenntnis ohne Erfahrung. Man kann beide nicht gegeneinander ausspielen. Aber man kann z.B. erfahrungslose, nur abstrakte Theologie treiben. Das ist zwar irgendwie vernünftig, aber nicht lebendig. Es ist dann eher eine Verkürzung der Vernunft. Die tiefste Erfahrung des Menschen ist Liebe; Liebe, die Gott und den anderen Menschen um seinetwillen lieben kann. Aber Liebe kann der Mensch nur als ein Antwortender geben, wenn er sich zuvor geliebt weiß. Und Liebe, also die konkrete Erfahrung von Liebe und Geliebt-werden, ist nicht vernunftlos, nicht blind. Sie wird nur blind, wenn sie mit Emotion verwechselt wird oder auf Emotion reduziert wird. Aber Liebe, die wirklich den Anderen meint, ist hellsichtig, sie macht sehend, sie macht unser Denken tiefer, unsere Vernunft reicher und umfassender. Und umgekehrt: Unsere Erkenntnis befeuert die Liebe. Erkenntnis, schenkt dem Menschen das, was es lieben soll. Und die Liebe lässt das Erkannte wieder tiefer erkennen. Vernunft und Liebe bilden also eine in sich verschränkte Wechselwirkung als zwei Bewegungen des einen menschlichen Geistes, die wir nicht voneinander abspalten oder gegeneinander ausspielen dürfen. Das Bedürfnis, die Wahrheit von der Liebe zu trennen, kommt in uns allen letztlich aus einem Bedürfnis, die Erfahrung des Kreuzes umgehen zu wollen.



Was Papst Franziskus betrifft scheint es eine Inversion der Einschätzung stattzufinden. Die Traditionalisten, die gewöhnlicher Weise das petrinische Amt verteidigen, sind kritisch. Diejenigen, die ihm kritisch gegenüber standen, sowohl in der Kirche wie auch ausserhalb von ihr, folgen diesen Papst sehr aufmerksam. Woher kommt in diesen Jahren die größte Herausforderung für die Kirche? Aus der Säkularisation? Oder hat diese ihren Weg vollendet? Oder vielleicht aus der Macht? Aus dem Bedürfnis Werte in den Mittelpunkt der Reflexion zu stellen?
Es ist einfacher, über Wahrheit zu reden und sie nur – im abstrakten Sinne – zu denken, als die Wahrheit als Liebe zu leben. Aber die Wahrheit, die die Kirche glaubt, ist immer eine lebendige Person. Und jeder Satz, den die Kirche als wahr verkündet spricht direkt oder indirekt von der Person, die von sich gesagt hat: Ich bin die Wahrheit. Aber diese Person hat eben auch gesagt: Ich bin der Weg und das Leben und das Licht und die Liebe. Wir dürfen  nicht eine Wahrheit losgelöst von der Weggestalt des Glaubens und von der liebenden Zuwendung zu den Menschen wie eine Art statischen Besitz verwalten. Die Liebe gibt sich hin. Sie lässt sich kreuzigen – für den Anderen. Sie wäscht auch dem die Füße, der sie vielleicht hasst, oder dem, der vermeintlich „draußen“ ist, außerhalb der Kirche. Gelebte Liebe in der Kirche, will ja zusammen mit ihrem Herrn, dass „alle Menschen gerettet werden“ (1 Tim 2,4). 

Und das Wort „alle“ lässt keine Ausnahme und keine negative Ausgrenzung zu. Freilich geht es dabei nicht um Beliebigkeit und auch nicht um Verwässerung oder gar Preisgabe der Wahrheit. Aber ich denke, das ist die größte Herausforderung für uns alle, die wir oft in einem eher abstrakten Sinn auf „die Wahrheit“ pochen: dass es genau diese Wahrheit ist, die uns zur Lebenshingabe herausfordert. In der Tiefe gesprochen ist die Herausforderung eigentlich die Heiligkeit: Heiligkeit ist die Versöhnung. Sie ist Wahrheit als Liebe und Liebe als Wahrheit in konkreter dargelebter Gestalt.

Denken Sie, dass die theologische Aufmerksamkeit für das Thema der „Periferien“ ein Thema sei, das auch eine Bedeutung für Deutschland, als eines der reichsten Länder der Welt, hat? Meinen Sie, dass man die Identitätskrise Europa, einige Tage vor einer wichtigen Europawahl, auch als Chance, als „Vorsehung“ zu lesen sei?
Es gibt nach meiner Ansicht kein Land in der Welt, in dem die Kirche mit ihren Institutionen so sehr „an den Rändern“ ist, wie in Deutschland: Die Caritas zum Beispiel oder andere kirchliche Träger sind in nahezu allen Feldern tätig, in denen in unserer Gesellschaft menschliche Not, Ausgrenzung, Randexistenz erscheint. Aber das Problem ist: diese institutionalisierte und professionalisierte Form kirchlicher Zuwendung macht es möglich, dass man dort arbeiten kann, ohne gläubig sein zu müssen. Und wir leben in einer immer mehr entkonfessionalisierten Gesellschaft, das heißt auch viele, viele Mitarbeiter in den kirchlichen Wohlfahrtseinrichtungen sind Kinder dieser Gesellschaft und folglich wie die ganze Gesellschaft immer weniger im lebendigen Glauben verankert. Deshalb nimmt man diese ungeheuer weite und vielfältige Form organisierter Zuwendung zum Nächsten so wenig als „Kirche“ wahr – und fordert dann umgekehrt, die Kirche auf, an die Ränder zu gehen. Es ist also aus meiner Sicht eine der wichtigsten Aufgaben, den vielen Menschen, die in diesen Diensten stehen wieder zu einer lebendigen Glaubenserfahrung zu verhelfen. Zudem ist es wichtig, auch unseren Gläubigen in den Pfarreien wieder zu erschließen, wie etwa die Feier der Eucharistie in gelebte Nächstenliebe mündet und umgekehrt: Wie wirkliche Nächstenliebe sich aus der Eucharistie, aus der lebendigen Begegnung mit Christus sich nährt.  Kirche, die wirklich aus einem lebendigen Glauben die Liebe lebt, ist automatisch an den Rändern, ob in institutionalisierter oder in nicht instiutionalisierter Form. Und die Welt hungert danach.

Am 27. April wird Johannes Paul II  heilig gesprochen. Aus Ihrer Sicht, als Hirte aber auch als Gläubiger, was bietet den Gläubigen und Nichtgläubigen unserer Zeit die Persönlichkeit Wojtylas und was macht sie aus, sowohl inhaltlich wie auch methodisch?

 

Johannes Paul II war ein Mann, der die Einheit von Wahrheit und Liebe gelebt hat: er war und ist ein Heiliger. Geistlich sind aus meiner Sicht sein unerschütterlicher Optimismus, seine Freude in allen Lebenslagen und -krisen, seine tiefe innere Nähe zu Christus und Maria, seine Zuwendung zum konkreten Menschen, den er als „Weg der Kirche“ bezeichnet hat, sein Vermächtnis. Aus philosophisch-theologischer Sicht würde ich seine Philosophie der Person und des menschlichen Leibes unter dem Vielen herausheben wollen. Von den großen Enzykliken sind mir persönliche „Redemptor hominis“, „Redemptoris Mater“, „Fides et Ratio“ und „Ecclesia de Eucharistia“ die wichtigsten. Aber das ist eine sehr schnell dahin geworfene persönliche Einschätzung einer ungeheueren Hinterlassenschaft des großen Mannes. Wenn ich länger darüber nachdenken würde, müsste ich viel mehr sagen… auch zu den anderen Fragen oben…